Lichtspalt unter Tür in dunklem Raum: Sinnbild für kindliche Angst und Trauma

Dunkle Lichtblicke

+++ Triggerwarnung +++

Missbrauch, Trauma, gewaltvolle Kindheitserinnerungen

Yo, Mit-Seele.
Vielleicht überdenkst du deine aktuelle geistige Stabilität, bevor du weiterliest. Ich berichte hier von eigener  emotionaler  Überforderung, von Konfrontation mit eigenem Trauma und davon, wie ich das mit ADHS erlebe. 

Lauren Ashley Calhoun - befreit am 11.Juni 2001

Der Horror, den Lauren Ashley Calhoun durch ihre Eltern erlebt hat, ist unsäglich.

Von ihrer Adoptivfamilie zurückgeholt im Alter von 4 Jahren – so startete in Texas ein Alptraum dessen Realität erst endet, als sie 8 ist.
Ob der Alptraum ihrer persönlichen Wirklichkeit je aufhört, ein Alptraum zu sein, weiß nur sie selbst … irgendwann.

Missbrauch, Freiheitsberaubung, Folter – das volle Programm.
Ich erfuhr hiervon durch N., die mir vorgestern von einer Doku erzählte, die sie hierzu gesehen hat.

Mitgefühl - oder Mitleid?

Man sagt ADHSlern einen hohen Gerechtigkeitssinn nach.

Meiner Meinung nach hat das was mit unserer Neigung zu tun, in Begegnungen sozial zu vernetzen – selbst oder gerade dann, wenn es einmalig ist.

Freundlichkeit kostet nichts. Zu einer solchen Interaktion gehört, sich in den anderen hineinzudenken und zu -fühlen. 

Hochsensibilität ist natürlich auch so eine Sache. Meiner Meinung nach ein ADHS-Standard, und weit verbreitet in der Neurodivergenz. Meist ist besondere Empathie teil dieser Thematik.

 

Also: Weinst du, wenn du durch ein neues Lied berührt wirst? Bei Filmszenen? Dann … kennst du das Gefühl der kalten Hand, die nach deinem Herzen greift, wenn dir jemand von einem Unfall, Verletzungen oder Operationen erzählt?

Mein Einfühlungsvermögen zwingt mich jedenfalls regelmäßig dazu, mich in alle möglichen Situationen und Menschen hineinzuversetzen. 

 

Lauren Ashley.
Ich suchte also in meinen Erinnerungen – ganz natürlich, wie es meine Art ist – nach etwas, das sich vielleicht ähnlich anfühlt. 

 

Plötzlich befand ich mich in den tiefsten Kellern meiner Vergangenheit.

Lauren und ich

Ich bin jetzt 50 Jahre alt und im Schnitt alle 1,5 Jahre umgezogen. Für eine Therapie war das alles zu unbeständig. Wäre ich nicht vernarrt in die großen Fragen der Ontologie, hätte ich vermutlich jede Selbstreflektion vermieden und wäre längst abgestürzt.

 

Lauren hat – aus meiner Perspektive – viel Schlimmeres erlebt als ich.

 

Ich wurde nicht dauerhaft im Schrank eingesperrt.

Ich wurde nicht jahrelang im Wissen der Mutter von verschiedenen Männern missbraucht.

Ich wurde nicht allseits geleugnet und versteckt wie ein Geheimnis.

Ich war nicht so ausgehungert, dass spezielle Nährstoff-Therapien angewendet werden mussten, die man für KZ-Häftlinge benötigte, weil der Körper normales Essen nicht mehr verarbeiten konnte.

Der Lichtspalt unter der Schranktür war nicht mein einziger Fokus, auf den ich mich trance-artig konzentrierte.

 

Als ich gerade begriff, dass mir die Thematik zuviel wurde, erzählte mir Nadine von dem Lichtspalt.

Die Wunde

Auf einmal kann ich es wieder sehen:
Keine Schranktür, sondern meine Zimmertür – verriegelt durch Angst.
Angst ist etwas, bei dem Gewissheiten lauern. Das hilft beim Überleben.
Man be-fürchtet jedoch Ungewissheiten – das, was vielleicht da ist.


Tagsüber ängstigte ich mich also vor der Heimkehr meines Vaters. Wenn ich dann ins Bett musste, hatte ich oft genug bereits Schläge bekommen oder war sonstwie verängstigt.

So lag ich regelmäßig da:
Stundenlang den Blick auf den Lichtschein fixiert, während ich hörte, wie mein Vater seine Abend-Eskalation begann.

Das Warten darauf, dass ich seinen Schatten vor meiner Tür sehe, bevor er reinkommt und dieselbe Wut mitbringt, die er eben noch meiner Mutter gegenüber hatte.

Oft genug hatte ich mich in Augenblicken der Stille gefragt, ob meine Mutter noch lebt.

 

Im nächsten Moment kippt meine innere Szene und ich sehe den Lichtspalt am Fuß der Kellertür.

Ich stehe ganz unten im Dunklen, sehe das dutzend Holzstufen nach oben – zum Licht unter der verschlossenen Kellertür, höre den wütenden Lärm meines Vaters oben im Haus und spüre die Vibrationen, die durch die Wände übertragen werden.

Mein Körper sitzt in der Sonne im Hof vor dem Haus. Ich dissoziiere.
Fast 50 Jahre habe ich nicht mehr an diesen Moment im Keller gedacht.

Noch heute bin ich schnell überfordert mit direkter Aggression – manchmal auch mit meiner eigenen.

Verweigerung

Lauren wurde als „Schrank-Mädchen von Texas“ bekannt. Sie wurde nach 4 Jahren Folter gerettet als sie 8 war. Sie bekam Therapien und Sichtbarkeit.
Was aus ihr geworden ist, weiss ich nicht. Ich will es auch nicht wissen.

Ich will nicht wissen, was „genau“ mir passiert ist.
Ich will die vielen abgespaltenen Jahre nicht zurück.
Ich will keine „neutrale Beobachterposition“ (während ich diese Zeilen schreibe).
Ich will nicht.

Trauma und Rückblick mit ADHS

Die neuronale Struktur meines Gehirns wurde durch meine frühen Jahre geprägt – in Zeiten von Gewalt, Unsicherheit und Angst.

Meine Amygdala ist besonders sensibel.

Traumaverarbeitung geschieht hier anders als bei „Standard-Gehirnen“.
Die Hirnforschung hat ergeben, dass ein „vorsichtiges Herantasten“ an ein traumatisches Erlebnis mit ADHS kaum möglich ist.

 

Traumata sind hier im Mandelkern so fest verankert, dass die Vorstellung vom Ereignis im Grunde jedesmal die Intensität eines Wiedererlebens hat.

Das Problem mit der Impulskontrolle verschärft und begünstigt das Problem. 

Was für andere Menschen ein Ausnahmezustand oder „Krisen-Modus“ heißt, ist für mich normaler Alltag. Ich vergesse deswegen oft, dass ich eigentlich bereits von Natur aus einen deutlich höheren Stresspegel als „Standard“ mein Eigen nenne.

(vgl. Hypervigilanz)

Man kann das in Jahren der Lebenserwartung umrechnen – so wie bei Familienhunden und einem tatsächlich arbeitenden Hirtenhund, der nach einigen Jahren einfach verbraucht ist. 

 

Das alles wusste ich die meiste Zeit meines Lebens nicht. Ich versuchte, irgendwie mit der Welt und mir zurechtzukommen. Mein Selbstwertgefühl war quasi nicht existent. Urvertrauen war etwas, wovon ich irgendwann mal gelesen hatte.

Als ich Mitte 30 war, besaß ich kein Rückgrat und war weit weg davon, authentisch zu sein.

 

Ich begann Konfliktfähigkeit zu erlernen, als ich um die 40 Jahre alt war.
Ohne es mir einzugestehen lebte ich  die überwiegende Zeit ein angstbestimmtes Leben, war oft frustriert und wusste mich nicht gesund zu regulieren.

Selbstreflektion im Vergleich

Was also hat Lauren Calhoun, was ich nicht habe?

Woher der Lebenswille?

Die Stunden, Tage und Monate, in denen man dissoziierte Trance zusammenträgt … 

… das ist verstreichende Lebenszeit – während man auf einen Lichtspalt starrt, dessen Veränderung die Fortsetzung des Horrors bedeuten kann.

 

Womöglich erinnert sie sich heute genauso verwaschen wie ich an die meiste Zeit.

Ein paar Highlights des Grauens, aus denen man sich schemenhaft den Rest zusammenbaut.
Andererseits hatte sie – im Gegensatz zu mir –  direkte psychologische Unterstützung.

 

Als ich die Geschichte hörte, war ich von verschiedensten Gefühlen und Empfindungen erfüllt.

Einige sind nicht klar voneinander trennbar, gegensätzlich oder irrational.
Ich war sogar überrascht von meiner Wut auf Lauren und die, die sie unterstützt haben.

Was davon ist „alte“ Wut?

Welche dieser Gefühle sind legitim oder „unecht“?

Und nun?

Bemerkenswert in der Reflektion auch auch meine Tendenz, meine eigene Geschichte während des Vergleiches mit Laurens Schicksal kleinzureden.

Mir sind IHRE schlimmen Dinge nicht passiert.
Warum ich das tue?


Gestern kam mir die Einsicht:

Weil ich mich mit meinem Horror nicht mehr beschäftigen will.
Weil da noch so viel Grauen ist, das ich mir nicht angesehen habe.
Viel mehr, als ich erinnern kann.

 

Ich bin Geist in Körper.
Nur ein Teil meines Höheren Selbstes.
Diese Dinge „hier“ gehören zu mir.
Genügt das nicht?